Im Geflecht von Atomen

Im Türrahmen meines Badezimmers lauert ein Weberknecht. Ich weiß nicht worauf. Erhaben und unheimlich klebt er an der oberen Ecke. Braun auf weiß. Jedes Mal wenn ich ins Badezimmer gehe, habe ich die Befürchtung, dass er sich fallen lassen wird, vom Türsturz auf meine Haare. Er ist keine Zecke *schon klar*, aber wer weiß, was so eine Spinne denkt? Denkt sie, oder sind es nur Impulse, die sie leiten? Was ist der Unterschied? Wenn sie mich #aus irgendeinem Wahnsinn heraus# für Nahrung hält? Wer sagt, dass Spinnen nicht auch einfach abersinnig zur Welt kommen können? Schließlich hängt sie abwegig da am Türstock. Wenn nur eine minimale Möglichkeit besteht, dass sie sich auf mich fallen lassen könnte … will ich diese Gefahr wirklich eingehen? Wer will das schon? Ein achtbeiniges Ding in den Haaren. So unnatürlich lange dürre Beine!

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Jedes Mal wenn ich darunter vorbei krieche und das waren jetzt bestimmt Hunderte Male, führe ich ein kurzes Streitgespräch mit dem Wesen: „Ich lasse dir das dieses Mal noch mal durchgehen, aber du musst dir wirklich einen anderen Platz suchen! Erstens wirst du dort nichts fangen. Zweitens wird es mir irgendwann reichen und ich werde dich zerquetschen.“ Das lässt den Weberknecht ungerührt. Er trotzt weiter der Schwerkraft, in seiner widerlichen Perfektion. All die Kakofonie der Schöpfung hat uns zu diesem Moment geführt, vom Big Bang bis zum heutigen Tage an dem Trumps Atomwaffen bekommen und Weberknechte im Türrahmen abhängen. Starre. Ich starre. Er starrt zurück. Wir starren im Geflecht von Atomen. Wer spinnt?

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Alles ist, wo es sein muss. „Töte ihn!“, sagt der Napoleon in mir, der sich nach gottgleicher Größe sehnt. Dieses Spinnentier wurde von dem mystischen Tanz der Kausalitäten hierher geführt ^^in mein Badezimmer^^.

Allein die Geschichte der Menschheit: Bis wir massive Häuser bauen lernten und ich dann endlich in einen Teil davon einziehen konnte (Jahrtausende später). Durch mir unbekannte Ritzen ist dieses Wesen in meinen Wohnraum gedrungen, konfrontiert mich mit dem unendlichen Fächer des Seins. Jedes Mal wenn ich duschen will, was auch ein Wunder der Technik ist, das meinen Horizont übersteigt, sieht mich dieser Weberknecht an. Ich weiß jetzt, sie können nicht besonders sehen, aber er wirkt so überirdisch in seiner Ecke. Was wenn er die Wiedergeburt von Lao-Tse ist? Der zufrieden da klebt, im Reinen mit dem Universum und voller Vertrauen, dass die Welt ihn ernährt, mit der Gewissheit, dass das Leben ihn dorthin gebracht hat und wenn es endet, dann endet es.

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